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02.07.2000SonntagsZeitungOdette FreyAb ins Bett

Ab ins Bett

Nachtmenschen sollten besser die Finger vom Nachtleben lassen. Sie gefährden damit ihre Gesundheit, ist ein britischer Forscher überzeugt.

Von Odette Frey

Sind Sie ein Morgenmensch? Dann sind Sie doppelt zu beneiden. Ihnen ist nicht nur der morgendliche Zweikampf mit dem rasselnden Ungetüm fremd, Sie leben laut einer neuen Studie auch gesünder - selbst wenn Sie für Ihre Verhältnisse hin und wieder über die Stränge schlagen und ein paar Nächte durchfeiern oder durcharbeiten.

Anders, wenn Sie ein Nachtmensch sind. Schon ein einziges Wochenende, an dem Sie der 9-bis-5-Uhr-Routine entrinnen, lange aufbleiben und bis mittags schlafen, bringt Ihre innere Uhr durcheinander. Langfristig kann das auf die Gesundheit schlagen, glaubt nun ein britischer Psychologe, der die innere Uhr erforscht. Nach seiner neusten Studie sind Nachtmenschen anfälliger für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Störungen des Verdauungsapparates und andere Beschwerden. Abhilfe bringt, so glaubt der Forscher, nur strikte Routine.

Zu dieser Erkenntnis gelangte der Chronopsychologe Simon Folkard von der University of Wales in Swansea anhand einer Untersuchung von achtzig Schichtarbeitern, von denen die eine Hälfte nur nachts und die andere Häfte nur tagsüber arbeitete. Nachtschicht gilt grundsätzlich als Gesundheitsrisiko: Schlafprobleme, Sodbrennen, Bluthochdruck sind nur einige der Beschwerden, die bei Nachtarbeitern häufiger auftreten. Der Mensch - ob Nachteule oder Morgentyp - ist nun einmal von Natur aus nicht dazu gemacht, sich die Nächte um die Ohren zu schlagen, so Folkard.

Bis anhin dachte man aber, dass sich der Schaden durch gezielte Auswahl der Schichtarbeiter begrenzen liesse. «Wir glaubten, dass Nachtmenschen für die Nachtschicht besser geeignet sind als Morgenmenschen», sagt Folkard. Dies schien auch besser zu den persönlichen Vorlieben zu passen: Denn Nachtmenschen sind nicht nur die Letzten auf jeder Party, sie sind auch eher bereit, nachts zu arbeiten - etwas, was vielen Morgenmenschen gegen die Natur geht.

Folkards Untersuchung, die in diesem Jahr in «Shiftwork in the 21st century: Challenges for research and practice» (Peter Lang Publishing, New York) veröffentlicht wird, zeigt nun aber das Gegenteil: Nachtmenschen sollten besser die Finger vom Nachtleben lassen. In Folkards Studie klagten nämlich die Nachteulen, welche auf der Nachtschicht eingesetzt wurden, häufiger über Gesundheitsprobleme als die Morgenmenschen auf der gleichen Schicht. «Die Ironie dabei ist, dass die Nachtmenschen gerade die Schicht auswählen, die ihnen langfristig schadet», sagt Folkard. Die Ursache für die unterschiedliche Wirkung der Nachtarbeit macht der Psychologe bei der inneren Uhr aus, die bei Nachttypen anders tickt als bei Morgentypen.

Der biologische Tag der Nachteulen dauert länger als 24 Stunden

Unzählige Körperfunktionen wie Temperatur, Hormonausschüttung, Immunsystem und Herzfrequenz verlaufen in Rhythmen. Sie gehorchen einem Schrittmacher im Zwischenhirn, dem Nucleus suprachiasmaticus. Die rhythmische Aktivität dieses Steuerzentrums ist genetisch fixiert. Äussere Faktoren fungieren dabei nur als Zeitgeber: Licht wirkt über die Retina auf den Nucleus suprachiasmaticus und bringt so die inneren Rhythmen mit den äusseren Rhythmen wie der Tageslänge in Einklang.

Schon lange ist bekannt, dass die innere Uhr der Nachteulen anders läuft als diejenige der Morgenmenschen. Während Frühaufsteher einen stabilen inneren Rhythmus haben, der etwa 24 Stunden entspricht, ist die innere Uhr der Nachteulen flexibler. Eine solche Anpassungsfähigkeit ist auch nötig: Der biologische Rhythmus der Nachteulen ist nämlich länger als 24 Stunden und muss deshalb jeden Morgen mit Hilfe eines markdurchdringenden Weckergerassels wieder neu gestellt werden. Trotz dieser täglichen Neu-Justierung geht die innere Uhr der Nachteulen nach, sie läuft im Vergleich zu jener der Morgenmenschen phasenverschoben. So erreichen die Morgenmuffel ihre maximale Körpertemperatur am frühen Abend etwa ein bis zwei Stunden nach den Frühaufstehern.

Bis anhin dachte man, die Flexibilität der inneren Uhr bei Nachtmenschen sei ein Vorteil und mache diese weniger anfällig für die negativen Auswirkungen von Schichtarbeit oder einer durchfeierten Nacht. Die Unterschiede sind in der Tat gross: So passt sich der Temperatur-Rhythmus bei geborenen Nachtmenschen pro gearbeitete Nacht etwa um eine Stunde an. Bei Morgenmenschen hingegen tritt, wie der deutsche Chronobiologe Rudolf Moog zeigte, sogar nach 21 Nachtschichten noch keine solche Anpassung auf.

Folkard spekuliert nun, dass, anders als bislang vermutet, gerade diese Starrheit von Vorteil ist. «Möglicherweise muss man die Anpassung der inneren Uhr in Wirklichkeit mit einer Störung gleichsetzen», sagt er. Jürgen Zulley, Leiter des Schlaflabors am Bezirkskrankenhaus der Universität Regensburg, ist aber noch skeptisch: «Das ist eine völlig neue Hypothese, die erst noch durch weitere Studien bestätigt werden muss», sagt er.

Folkard glaubt, dass einige Indizien für seine These sprechen. So geschehe die Anpassung der inneren Uhr an die Nachtarbeit kaum je komplett - unter anderem, weil die meisten Nachtarbeiter in ihrer Freizeit wieder zur Tagesaktivität zurückkehren. Die Rückanpassung findet zudem meist äusserst rasch statt. Dieses ständige Hin und Her wirft laut Folkard die innere Uhr aus dem Takt. Die Rhythmen der verschiedenen Körperfunktionen sind nicht mehr im Gleichtakt. «Bei Morgenmenschen passiert das nicht, weil sich ihre biologische Uhr gar nicht erst umstellt», sagt der Chronopsychologe.

Für die Praxis bedeuten Simon Folkards Erkenntnisse, dass die Zuteilung der Schichten komplizierter wird. So scheinen zwar Morgenmenschen auf einer Nachtschicht gesundheitlich weniger Schaden zu nehmen als die Nachteulen. Doch geeignete Nachtarbeiter sind auch sie nicht: Ihre innere Uhr ist während der Nacht auf Schlaf eingestellt, sie sind müde und deshalb eher ein Sicherheitsrisiko.

Immerhin hat Folkard für Menschen mit normalen Arbeitszeiten einen Tipp bereit. Morgenmenschen bräuchten sich über das Timing ihres Schlafes nicht allzu viele Gedanken zu machen. Gesundheitsbewusste Nachtmenschen hingegen könnten von einer strikten Routine profitieren, glaubt Folkard. «Nachtmenschen müssen während der Woche immer früher raus, als es ihre innere Uhr eigentlich vorgibt. Am Wochenende gehen sie dann später ins Bett und schlafen aus», sagt er. «So sind ihre Rhythmen immer im Fluss.» Wer also wirklich ganz sicher gehen will, sollte sich auch am Samstag und Sonntag aus dem Bett klingeln lassen. Ein Vorschlag, der wohl nicht nur eingefleischte Nachtmenschen aufstöhnen lässt.

Bereich: Forschung NachtaktivitätSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin