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07.08.2001Neue Zürcher ZeitungFrancesco Benini«Wer mehr als sechs Stunden schläft, wird fett und träge»

«Wer mehr als sechs Stunden schläft, wird fett und träge

Eine Nacht im Radiostudio mit Moderator Roman Kilchsperger

Mit nur vier Stunden Schlaf kommt Roman Kilchsperger aus, der von Montag bis Donnerstag die Morgensendung auf Radio 24 moderiert. Um 2 Uhr 30 beginnt er die Vorbereitung des Programms, das den Zuhörern den Start in den Tag erleichtern soll.

Nachts um 2 Uhr läutet bei Roman Kilchsperger der Wecker. «Mir stinkt es zweieinhalb Sekunden lang, dann freue ich mich auf die Sendung», erzählt der 31-jährige Radiomoderator. Um 2 Uhr 30 betritt er das Gebäude von Radio 24 an der Limmatstrasse in Zürich und lässt sich einen Kaffee aus dem Automaten heraus - den ersten von zwölf innerhalb der folgenden sieben Stunden. Kilchsperger moderiert montags bis donnerstags von 5 Uhr 30 bis 9 Uhr den «Ufschteller», die beliebte Morgensendung der privaten Radiostation. Er nennt das Programm «meinen Kummer» und fügt hinzu, es sei schön, wenn eine Stadt erwache und man drin sei in den Küchen, Badezimmern und Autos der Leute.

Vier Stunden Schlaf genügen

Kilchsperger setzt sich an seinen Computer und beantwortet die Mails der Zuhörer. Manchmal schicken sie ihm Witze zu, die er in der Sendung verwenden kann. Der «Ufschteller» ist eine Mischung aus Information, viel Musik und Einspielungen, die das Radiopublikum zum Tagesbeginn aufheitern sollen. Regelmässig ruft zum Beispiel die ältere Dame Erna Sollenberger ins Programm an. Die Rentnerin setzt sich dafür ein, dass die Autofahrer mit 90 Kilometern pro Stunde durch die Tempo-30-Zone fahren dürfen, bei anderer Gelegenheit wünscht sie sich einen langsamen Musiktitel, weil ihr Freund gerade zu Besuch sei und sie sich vor dem Radio lieben wollten.

Kilchsperger geht selten vor 22 Uhr zu Bett. «Wer mehr als sechs Stunden schläft, wird fett und träge», sagt er. Im gleichen Atemzug verweist er auf die Ringe unter seinen Augen und erklärt, wer diesen Job mache, dürfe nicht eitel sein. Wenn Kilchsperger um 10 Uhr morgens nach Hause kommt, erledigt er den Haushalt für sich und seine Freundin, macht Einkäufe, spaziert mit dem Hund an der Limmat, geht Badminton spielen oder ins Krafttraining («go chräftälä») - nur hinlegen will er sich nicht. Er könne doch nicht schlafen, wenn es draussen hell sei, hält Kilchsperger fest. Ab und zu bekomme er es schon mit der Angst zu tun: Manchmal habe er plötzliche Schweissausbrüche oder sehe alles verschwommen. «Ich kann dann genug schlafen, wenn ich alt bin», beendet er das Thema.

Kilchsperger hört sich einen Beitrag über ein Konzert an, das am Vorabend in Zürich stattgefunden hat. Er sucht nach einer Stelle, die sich eignet, um «die Sache anzuteasern». Diesen kurzen Ausschnitt wird er am Anfang des Programms abspielen, die Zuhörer sollen so auf den eigentlichen Beitrag aufmerksam gemacht werden, der dann nach 7 Uhr folgt. Auf der Suche nach Themen für die Sendung blättert Kilchsperger in den Tageszeitungen und wird schnell fündig: Der FC Zürich führt zum ersten Mal seit Jahren die Tabelle an. Im Archiv holt sich der Radiomoderator ein Tonband, auf dem zu hören ist, wie ein Fussballfan «Scheiss-GC» brüllt. Von der Digitaltechnik hält Kilchsperger wenig. «Ich bin wahrscheinlich der letzte Radiomensch der Schweiz, der seine Beiträge mit Tonbändern zusammenschneidet», erklärt er.

Schon als Kind nahm Kilchsperger Kassetten mit eigenen Moderationen auf, die er Kollegen zum Geburtstag schenkte. Mit einem Mikrophon in der Hand stellte er sich vor die Migros in Schlieren und befragte die Passanten: «Wir E-Junioren des FC Schlieren spielen am Samstag gegen Birmensdorf, wie lautet Ihre Prognose für das Spiel?» Kilchsperger absolvierte die Handelsmittelschule, wurde Moderator bei Radio Zürisee und dann bei Radio 24, wechselte zur Tageszeitung «Blick» als Sportreporter und kehrte zurück zu Radio 24. Jedes zweite Wochenende moderiert er eine Fussballübertragung auf dem Privatfernsehsender SAT 1. Kilchsperger ist ein Sportbesessener. Seine Imitationen von Raimondo Ponte brachten den ehemaligen Trainer des FC Zürich so in Rage, dass dieser Drohungen gegen den Moderator ausstiess.

Um 4 Uhr morgens trifft der Nachrichtenredaktor im Studio ein. Kilchsperger raucht eine Zigarette nach der andern, kürzt einen Beitrag auf zwei Minuten zusammen, legt sich den Ablauf der Sendung zurecht. «Wenn du Radio machst, darfst du nie versuchen, intelligenter zu wirken, als du bist», betont er. Die Moderationen müssten so natürlich wie möglich herüberkommen, das Mikrophon müsse der Freund des Moderators sein. Er habe Kollegen, die schlagfertiger seien als er, aber wenn man die vor ein Mikrophon setze, komme rein gar nichts dabei heraus.

Musiktitel am liebsten «voll Rohr»

Eine halbe Minute vor dem Beginn der Sendung setzt sich Kilchsperger ans Moderationspult, zieht sich die Schuhe aus und räuspert sich. «Erschreckt nicht, liebe Hörerinnen und Hörer von Radio 24, es ist nur Roman Kilchsperger», fängt er an, wünscht mehrfach einen guten Morgen, erwähnt die Uhrzeit und verweist auf die Höhepunkte des Programms. Seine Stimme wirkt jugendlich, für einen Radiomoderator ist sie eigentlich zu hoch. Im Studio ist es kühl und laut. Kilchsperger spielt die Musiktitel am liebsten «voll Rohr», wie er sagt, manchmal kommen die Radiomitarbeiter aus den Nebenräumen und beschweren sich über den Lärm. Der Blick des Moderators ist auf den Bildschirm gerichtet, auf dem die Abfolge der Lieder und Werbespots zu sehen ist. Mit einem Mausklick spielt er die nachfolgenden Songs kurz an und bemerkt, da seien wieder einmal zu viele «Schleicher», langsame Titel, darunter. Kilchsperger rennt ins Musikarchiv, kommt mit vier CD zurück und ändert das Musikprogramm - auch wenn es danach Ärger gibt mit dem zuständigen Redaktor.

Kilchsperger moderiert, nimmt einen Schluck Kaffee, eilt aus dem Studio, steckt sich eine Zigarette an, nimmt drei Züge und drückt sie aus. Kurz vor 7 Uhr schaltet sich der Meteorologe für die Wetterprognose ins Programm ein. Kilchsperger begrüsst ihn herzlich und sagt: «Stell dir vor, die NZZ macht ein Porträt von mir. Das Sommerloch muss ziemlich gross sein bei denen.»

Francesco Benini

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Zürich und Region, 7.August 2001, Nr.180, Seite 37

Bereich: NachtarbeitSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin