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08.12.2001Der BundM. MorgenthalerAuch wer zu lange schläft, gefährdet damit seine Gesundheit

Auch wer zu lange schläft, gefährdet damit seine Gesundheit

Wir schlafen weniger als unsere Vorfahren vor hundert Jahren und wir schlafen im Schnitt schlechter als sie. Irene Tobler, Schlafforscherin am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich, erläutert, weshalb vier Stunden Nachtruhe dennoch genug sein können und warum Langschläfer nicht unbedingt länger leben.

M. MORGENTHALER

«Schlafen kann ich, wenn ich tot bin», soll der Filmemacher Rainer Werner Fassbinder gesagt haben. Wie viel Schlaf gönnen Sie sich zu Lebzeiten, Frau Tobler?

IRENE TOBLER: Lassen Sie mich nachrechnen... (überlegt.) Zwischen sieben und siebeneinhalb Stunden dürften es ungefähr sein. Damit kann ich gut leben, obwohl mir acht Stunden im Prinzip lieber wären.

Entspricht dieses Schlafverhalten dem Durchschnitt?

Ja, alles was sich zwischen sieben und acht Stunden bewegt, liegt im Schnitt. Ebenfalls typisch ist, dass ich mir ein wenig mehr Schlaf wünschte. Sehr viele Menschen unterschreiten die aus ihrer Sicht ideale Schlafzeit um dreissig bis sechzig Minuten. Offenbar verleitet uns der Alltag dazu, beim Schlaf ein wenig abzuzwacken. Am Wochenende wird das dann kompensiert: Verschiedene Statistiken zeigen, dass wir dann rund eine Stunde länger schlafen als unter der Woche.

Nicht immer erwacht man danach mit besserem Gefühl.

Ja, es gibt tatsächlich etwas Merkwürdiges, das die Wissenschaftler noch immer nicht genau verstehen: Wer zu lange schläft, erwacht oft verstimmt, das Maximum ist also auch in diesem Fall nicht unbedingt das Optimum.

Sprechen wir vom andern Ende der Skala. Der rumänische Religionswissenschaftler Mircea Eliade beschreibt in seinen «Erinnerungen», wie er sich angewöhnt hat, immer weniger zu schlafen und schliesslich mit vier Stunden auszukommen. Manche Manager eifern ihm heute aus andern Motiven nach. Kann das gut gehen?

Vier Stunden ist mit Sicherheit die unterste Grenze. Es gibt tatsächlich einige wenige Menschen, die auf längere Zeit mit vier Stunden pro Nacht auskommen, aber das sind Ausnahmen. Andere, die es ebenfalls versuchen, nicken als Folge mehrmals täglich kurz ein, etwa nach dem Mittagessen oder während des abendlichen Fernsehkonsums.

Wovon hängt ab, wie viel Schlaf jemand braucht?

Das ist noch nicht vollständig geklärt. Es gibt eine Erbkomponente, aber welche Rolle diese spielt, muss noch genau erforscht werden. Unbestritten ist bloss, dass sich schon in jungen Jahren abzeichnet, ob jemand viel Schlaf braucht.

Wenig schlafen lässt sich also nicht trainieren?

Es ist nur sehr beschränkt erlernbar. Natürlich ist es möglich, vor Prüfungen oder in anderen Extremsituationen das Pensum für einige Wochen oder sogar Monate herunterzuschrauben, aber wer einen Bedarf von acht Stunden hat und längere Zeit nur deren fünf schläft, wird schnell Schiffbruch erleiden.

Was heisst das konkret?

Zu den häufigsten kurzfristigen Auswirkungen von Schlafmangel gehören Konzentrationsschwäche, Überforderungsgefühle, Ungeduld, übertriebene Nervosität und eventuell sogar Schlaflosigkeit. Wer die letzten beiden Symptome regelmässig mit Medikamenten zu bekämpfen versucht, verändert in der Regel die Qualität des Schlafs und gerät in einen Teufelskreis.

Ist erforscht, wie sich zu wenig Schlaf mittel- und langfristig auswirkt?

Amerikanische Studien besagen, dass zu wenig Schlaf ein gesundheitliches Risiko darstellt. Allerdings leben auch Langschläfer laut diesen wissenschaftlichen Untersuchungen gefährlich, am Besten scheint der Mittelweg zu sein. Aus Versuchen mit Schlafentzug ist überdies bekannt, dass eine Funktion des Schlafs beim Aufbau der Immunabwehr mithilft - wer nicht oder zu wenig schläft, ist deshalb anfälliger auf Krankheiten.

Gibt es Anhaltspunkte, wie viele Personen insgesamt unter Schlafproblemen leiden und ob dieser Anteil in letzter Zeit zugenommen hat?

Die Schwierigkeiten haben sicherlich zugenommen. Man weiss, dass wir heute im Schnitt etwa eine Stunde weniger schlafen als noch vor hundert Jahren. Das allein heisst allerdings noch nicht, dass wir ungesünder lebten. Befragungen zeigen aber, dass fast jede zweite Person unter gelegentlichen Schlafstörungen leidet, etwa jede zehnte leidet häufig unter Insomnie, hat also Mühe mit Einschlafen, erwacht in der Nacht mehrmals und am Morgen zu früh. Bei Frauen und Jugendlichen in der Pubertät treten die Schwierigkeiten häufiger auf als bei anderen Gruppen.

Ist die Schlafqualität direkt von der beruflichen Belastung abhängig?

Die Arbeitszeit ist mit Sicherheit nicht entscheidend. Jemand, der 15 Stunden pro Tag schuftet, schläft oft besser als ein Teilzeitangestellter. Entscheidend ist, ob die Arbeit als befriedigend wahrgenommen wird. Erwiesen ist lediglich, dass Menschen mit Beziehungsproblemen und solche, die zuhause für Kinder oder andere pflegebedürftige Menschen sorgen, tendenziell schlechter schlafen.

Viele tun sich schwer damit, am Abend "abzuschalten". Was lässt sich dagegen tun?

Ich verrate Ihnen nichts Neues, wenn ich sage, dass man nicht spät essen und nicht viel Alkohol trinken sollte am Abend. Dennoch gibt es noch immer viele Geschäftsessen, die sich bis in die Nacht hinein erstrecken. Wichtig ist auch, dass man das Schlafzimmer nicht als Arbeitsplatz benützt und nicht im Bett noch am Laptop arbeitet. Gewisse Rituale zwischen der Phase der Aktivität und dem Schlafen sind sinnvoll, ob Zähneputzen, Atemübungen oder entspannte Lektüre diese beruhigende Funktion übernehmen, spielt keine Rolle.

Seit einiger Zeit spricht man auch im Büro vermehrt vom Schlafen, oder genauer: vom Leistungsschlaf respektive Power-Nap. Ist das bloss eine Modeströmung oder ein Gebot aus wissenschaftlicher Sicht?

Eine Schlaf- oder zumindest Liegepause nach dem Mittag wirkt sich in der Regel positiv auf die Leistung aus. Allerdings sollte der so genannte Leistungsschlaf nicht als Ersatz für den nächtlichen Schlaf, sondern als Ergänzung dazu verstanden werden. Und man tut gut daran, das Potenzial nicht zu überschätzen: Ein übermüdeter Lastwagenfahrer, der in der Schweiz am Mittag 15 Minuten döst, kann danach nicht bis Spanien durchfahren. Gerade bei monotonen Berufen helfen weder Power-Naps noch Aufputschmittel, wenn die Ruhezeit in der Nacht zu kurz ist. Und jeglicher Alkoholkonsum wirkt sich in solchen Fällen verheerend aus.

Weiterführende Links

http://www.swiss-sleep.ch.

http://www.unizh.ch/phar/sleep.

http://www.nachtaktiv.ch.

http://www.saez.ch/pdf/2000/2000-17/2000-17-314.pdf.

http://www.schlafstoerungen-online.de.

Bereich: Forschung SchlafSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin