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08.03.2002Neue Zürcher ZeitungGerda WurzenbergerFür Nachteulen oder Frühaufsteher

Für Nachteulen oder Frühaufsteher

Nischendasein des Bildungsprogramms von SF DRS

Bildungsangebote haben auf dem heutigen Fernsehmarkt einen schweren Stand. Das Schweizer Fernsehen DRS gewährt ihnen eine bescheidene Nische. Spät in der Nacht und am Samstagmorgen gibt es noch einen Termin, wo tiefer als sonst gebohrt wird.

Auf dem Sachbuchmarkt ist es schon seit Jahren evident: Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hungert die überinformierte Menschheit nach thematisch geordneter Übersichtlichkeit, nach einer Vereinfachung, die eine Erweiterung des Blickfeldes und somit das Erkennen von Zusammenhängen ermöglicht. Viele Sachbücher, die sich erzählerisch, anekdotisch oder didaktisch dieses akuten Bedürfnisses annehmen, sind in Kinder- und Jugendbuchverlagen erschienen, werden aber durchaus von Erwachsenen gelesen. Sie transportieren klassisches Bildungsgut.

Unterhaltung und Aktualität dominieren

Das moderne Fernsehen tut sich schwer mit der Bildung. Der Zeitgeist und die Zeitknappheit geben den Takt vor, und der Ruf nach Unterhaltung und Aktualität tönt nach wie vor laut auch durch die Gänge eines nationalen Fernsehens mit öffentlichem Auftrag. SF DRS hat gerade erst versucht, die «Kultursendung» unter Berücksichtigung des Unterhaltungsaspekts neu zu erfinden. Was bekanntlich nicht gelungen ist. Das klassische Bildungsfernsehen hingegen fristet ein bescheidenes Nischendasein. Dass in den vergangenen Jahren trotzdem ehrgeizige Pläne umgesetzt wurden, ist dem Einsatz von Robert Ruoff zu verdanken. Mit knappen Mitteln und auf einem unmöglichen Sendeplatz hat er ein Format entwickelt, das - vergleichbar mit dem oben erwähnten Bildungssachbuch - nicht das Medium neu erfinden, sondern nur seine Möglichkeiten nützen will. Seit Februar 1999 läuft jeden Samstagmorgen um 10 Uhr die Sendung «Bildung» - die Erstausstrahlung findet in der Nacht vorher statt (um 1 Uhr 10). Ruoff spricht in diesem Zusammenhang lieber von der «Vorausstrahlung».

Das Konzept ist so einfach wie bestechend. Zu Themen, die im langfristigen Sinne aktuell sind, werden entweder dokumentarische Mehrteiler fertig eingekauft, oder es wird aus dem internationalen Angebot eine mehrteilige Reihe zusammengestellt. So hat man im vergangenen Dezember, vor der Einführung des Euro, die Reihe «Geld» gestartet, die in sechs Teilen nicht nur die Frage «Der Euro und die Schweiz», sondern auch Weiterführendes in Sachen Geld und Börse beleuchtete. Und seit letzter Woche ist ein von der BBC produzierter Sechsteiler mit dem Titel «Israel und die Araber - 50 Jahre Krieg» zu sehen, der die zentralen Konflikte im Nahen Osten seit Ende des Zweiten Weltkriegs ausführlich ins Bild rückt und dabei vieles wieder in den Vordergrund bringt, was unserem Gedächtnis längst entglitten ist und in der aktuellen Berichterstattung im Fernsehen einfach keinen Platz findet.

Die rund einstündigen Dokumentationen bilden jeweils den Kern eines ganz normalen SF-DRS-Bildungs-Samstagmorgens - immer begleitet von Robert Ruoff. Er führt als Moderator in die Thematik ein, stellt Zusammenhänge her und kündigt den zweiten Teil der Sendung an: eine Studiodiskussion mit Fachpersonen meist aus der Schweiz, die - wenn möglich kontrovers - das behandelte Thema weiterführen, vertiefen, ergänzen soll. Durch eine solche «Begleitung» können auch blinde Flecken in Dokumentationen wettgemacht werden. Als Beispiel nennt Ruoff die aktuelle BBC-Reihe zum Krieg im Nahen Osten. Die britische Sichtweise habe die Rolle Grossbritanniens in diesem Konflikt praktisch völlig ausgeklammert, erklärt er. Und darauf müsse man ein mündiges Publikum hinweisen.

Ruoff nimmt den in der Schweizer Verfassung festgeschriebenen Bildungsauftrag des Fernsehens ernst. Indem er etwa Themen aufgreift, «die die Menschen spürbar, erkennbar beschäftigen». Im Herbst 2001 nahm sich «Bildung» beispielsweise in der Reihe «Computerwelt» der Geschichte des Personal Computer an und lud dazu Schweizer Computerpioniere zum Gespräch. Und im Zweiteiler «Krieg der Kulturen» wurde im Februar unter anderem eine Thematik aufgegriffen, die in der aktuellen «Spiegel»-Ausgabe vom 4. März 2002 die Titelstory bildet: die Beziehungen der USA zu Saudiarabien.

«Bildung» heisst für Ruoff immer auch «Aufarbeitung von Geschichte». Egal, ob es sich nun um ein historisches oder technisches Thema handelt. Denn nur durch «historische Tiefe», so ist er überzeugt, könne bei den Zuschauerinnen und Zuschauern ein Verständnis von Zusammenhängen «provoziert» werden, das als Orientierungshilfe auch direkte Folgen für ihr eigenes Handeln haben könne. 10 bis 15 Prozent Marktanteil erreiche die Sendung unter «vernünftigen Konkurrenzbedingungen», sagt Ruoff und spielt dabei auf Sportübertragungen am Samstagmorgen an. Zu dieser Sendezeit liegt das gesamte Zuschauerpotenzial bei gerade 300 000 Personen. Fünfzehn Prozent davon seien ein kleines, aber, wie Ruoff betont, «offenkundig sehr aufnahmebereites und engagiertes» Publikum. Und er ist überzeugt, dass Bildungsinhalte den Marktanteil auch auf einem besseren Sendeplatz halten könnten.

Trotz der gegenwärtigen Sparrunde bei SF DRS hofft Ruoff, der 1996 die Redaktion «Bildung» übernommen hat, in Zukunft bessere Bedingungen für seine Sendung zu bekommen. Etwa einen besseren Sendeplatz. Doch beim ehemaligen Chefredaktor Filippo Leutenegger ist er mit verschiedenen, wohlbegründeten Vorschlägen auf taube Ohren gestossen. «Wenn man Bildung macht, muss man Qualität anbieten», sagt Ruoff. Für ihn und sein kleines Team hat das zur Folge, dass sie bereits im Mai und Juni nur Wiederholungen zeigen werden. (Von allen Sendungen können übrigens Videokassetten bestellt werden, ein Dienst, den Ruoff selber aufgebaut hat und der von Schulen sehr rege genutzt wird.)

Das Sachbuch als Vorreiter?

Seit der Pisa-Studie ist der Bildungsnotstand unter der heranwachsenden Generation in aller Munde. Vielleicht erweist sich ja das Medium Sachbuch für einmal als Vorreiter für das Fernsehen und ebnet Sendungen den Weg, die sich mit den vielbeschworenen «Hintergründen», mit nicht auf den ersten Blick erkennbaren Zusammenhängen beschäftigen. Mit klassischen Bildungsinhalten eben. Und vielleicht gibt es dann auch bessere Sendeplätze für diese Sendungen. Bei SF DRS wäre ja theoretisch seit dem teilweisen Rückzug von «Hotel B.» an den meisten Sonntagabenden ein «Bildungs»-Sendeplatz unbelegt.

Gerda Wurzenberger

Am Samstag, dem 9. März, zeigt «Bildung» den zweiten Teil der Reihe «Der 50-jährige Krieg: Israel und die Araber»: «1967: Von der Suezkrise bis zum Sechstagekrieg». Im Studio diskutieren Kurt F. Spillmann, Professor für Strategie an der ETHZ, und Andreas Zumach, Publizist und Uno-Korrespondent «Die Tageszeitung» (01 Uhr 10 sowie 10 Uhr).

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Medien und Informatik, 8.März 2002, Nr.56, Seite 73

Bereich: AlltagSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin