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20.06.2002WeltwocheMargrit SprecherDer König ist Kunde

Der König ist Kunde

Margrit Sprecher

Schlaflos in Genf: König Fahd von Saudi-Arabien beehrt nach dreissig Jahren erstmals sein Anwesen in Collonge-Bellerive. Ein gutes Geschäft, der Hofstaat gibt für Mitternachts-Shopping und Lebensunterhalt täglich zwei Millionen Franken aus.

So heiter das Spiel der Sonne im Blätterdach, so friedlich die schattigen Gärten, so vertraut der Geruch nach frisch gemähtem Rasen und Schwimmbädern. Doch dann stehen sie plötzlich da, mitten im Weg, wie in einem schlechten Traum oder einem guten Film. Die Sakkos schlottern um ihre mageren Körper, dunkle Gläser verstecken die Augen, am Ohr klebt das Handy. Dreissig Jahre lang haben die Nachbarn auf diesen Augenblick gewartet. Endlich ist Leben eingekehrt auf diesem blinden Fleck mitten in Collonge-Bellerive, König Fahd von Saudi-Arabien geruht, erstmals in seiner Genfer Villa zu schlafen. Keine Betonmischer und Baufahrzeuge mehr, die joggende Armani-Shorts an die Mauern drücken und Jaguar-Fahrer in den Rückwärtsgang zwingen. Und Schluss mit dem Gestank aus der Kanalisation, wenn sie schon wieder angebohrt wurde.

Vom Zauber des Orients freilich ist auch jetzt nicht viel zu spüren. Er beschränkt sich auf die Anwesenheit der finsteren Sicherheitsmänner und 300 Mercedes-Limousinen, die durch die gewundenen Villensträsschen kurven, als wären sie auf einem Wüstenrallye. Weder einen Prinzen, geschweige denn eine Prinzessin hat Collonge-Bellerive bisher zu Gesicht bekommen. Dafür reisen Horden von Dienstsuchenden aus dem nahen Genf an, die sich das Warten auf das Vorstellungsgespräch mit Pinkeln an die Gartenzäune verkürzen.

All dies verleiht dem Anwesen des Königs das hektisch Provisorische eines Wanderzirkus – besonders verglichen mit der stillen Gediegenheit der Nachbarvillen von Prinz Aga Khan und Prinz Vittorio Emmanuele von Savoyen. Grüner Plastik schirmt die Gitter ab, und die gelb gestrichenen Wachhäuschen vor den Toren scheinen so lotterig zusammengenagelt wie eine Vorverkaufskasse. Natürlich täuscht der Anblick. Allein die Hauptvilla, wuchtig wie ein gigantisches Stück Würfelzucker ans Genferseeufer geklotzt, hat 200 Millionen Franken gekostet. Dazu kommen die 14 Bungalows für des Königs Entourage. Hier hatte sich der Genfer Architekt für den postmodern-neckischen Mittelmeerschick entschieden, eine Hotelarchitektur, die bei der reichen Klientele immer gut ankommt.

Kurz vor Bau-Ende wurde der Gemeinderat von Collonge-Bellerive zu einem Höflichkeitsbesuch zitiert. Kaum hatten die Herren einen Blick in die leere Empfangshalle geworfen und an einem Glas Wasser genippt, standen sie auch schon wieder draussen. Ergiebiger waren die Erzählungen der Handwerker. Die staunten ebenso über das mit Edelsteinen bestückte Hallenbad wie über die Atombunker, den Operationssaal und das unterirdische Strassenlabyrinth, das die 14 Villen miteinander verbindet.

Das Erdbeben der königlichen Ankunft hatte Ende Mai das ganze Genferseegebiet erschüttert. Kaum waren die sechs Boeings 747 mit König Fahd, seinem 400-köpfigen Tross und 200 Tonnen Gepäck an Bord in Cointrin gelandet, kam mancher Genfer nicht mehr zum Schlafen.

Der Florist von Halle de Rive schickt täglich bis zweihundert Sträusse nach Collonge-Bellerive: Ehrbezeugungen der 3000-köpfigen Saudi-Gemeinde in Genf. Über Nacht mussten Installateure missliebige Badezimmerkacheln herausreissen, Teppichleger einen gelben Spannbelag durch einen weissen ersetzen: Die Farbe missfiel einem Prinzen. Und ein Heer von Handwerkern wartet im Dienstbotenquartier Tag und Nacht ebenso auf den Einsatz wie ein professioneller Insektenvertilger: Der König fürchtet sich vor Spinnen und Insekten.

Warum er gekommen ist, weiss niemand. Bereitet er seine Abdankung zugunsten seines zwei Jahre jüngeren Bruders Abdullah vor, ein weiterer Sohn des Staatsgründers von Saudi-Arabien? Will man ihn vor der saudischen Öffentlichkeit verstecken, weil der gelähmte 79-Jährige nach seinem Hirnschlag auch nicht mehr richtig sprechen kann? Will er sich am Auge oder am Knie operieren lassen? Hat er alle drei Frauen dabei oder nur eine einzige? Bleibt er einen Monat oder zwei? Oder fühlt er sich nach dem 11. September in der Schweiz einfach sicherer als auf seiner künstlichen Insel bei Dschidda?

Wie immer, wenn der König reist, folgt ihm das halbe Land. «Alle Zimmer für einen Monat reservieren!», forderte der Protokollchef, einer der sieben Söhne Fahds, die Hoteliers rund um den Genfersee auf. Üppige Trinkgelder beschleunigten den Vorgang, manche, wie das «Manoir» in Collonge-Bellerive, setzten ihre Stammgäste kurzerhand auf die Strasse. Wer statt der georderten 50 Betten nur 12 offerierte wie das «Montreux Palace», sah sich mit einer harschen Annullierung bestraft.

Gustave Calendret, Besitzer des bescheidenen Gasthofes «Bellerive» mochte vor den Petrodollars nicht kuschen. Jetzt beherbergt er nur den Koch der Prinzessin und ein paar Küchenburschen: «Zum Glück Franzosen und Libanesen.» Ihre Schicht dauert zwölf Stunden. Denn noch immer lebt die königliche Familie nach dem Rhythmus der Wüste, die sie 1932 verlassen hat. Vor Mittag steht keiner auf, ins Bett legt man sich erst am frühen Morgen. Und zum Shopping lassen sich die Saudis gegen Mitternacht chauffieren. Natürlich öffnen die Geschäfte gern. Denn nach dem Einfall der Saudis sind die Vitrinen von Bijouterien ausgeräumt, die Gestelle der Kinderkleidergeschäfte und Elektronikläden leer.

Das hemmungslose Ramschen im Schatten der Nacht verstärkt noch den Stupor, in den manche Menschen verfallen, haben sie es mit Geldmassen dieser Grössenordnung zu tun. Schon 100 Millionen, egal ob Sterne, Moleküle oder Franken, übersteigen unsere Vorstellungskraft, geschweige denn die 45 Milliarden des Königs Fahd. Auch sind sie weit farbiger als die Milliarden eines Bill Gates, der sich am liebsten von Hamburger und Coke ernährt und keine anderen Freuden ausser der Arbeit kennt. Oder die spröden Milliarden der Schweizer, die alles daransetzen, um mit ihrem Pförtner verwechselt zu werden. Nein, die Reichen aus dem Morgenland benehmen sich so, wie man sich Reiche als Kind vorstellte. Die Frauen lassen sich mit Edelsteinen panieren, die Männer in Gold aufwiegen. Offen wedeln sie mit ihren Dollars, und wer hoch genug springt, schnappt sie sich auch. Und jedes königliche Fingerschnippen setzt eine Flutwelle begieriger Beflissenheit in Gang.

Gut möglich, dass auch das Genfer Anwesen Ergebnis einer Fingerschnippens war. Doch als der König erstmals das Ergebnis besichtigte, erfasste ihn der Zorn. Gewohnt, sein Auge über die Wüste bis zum Horizont schweifen zu lassen, sah er sich eingezwängt zwischen einem Kartoffelacker und Nachbarn, auf deren Sofatischchen er Elle Décoration und Sports illustrated lesen konnte. Eine Hundehütte mitten im Slum hatte man ihm hingestellt, jeder afrikanische Fürst in der Schweiz logierte feudaler.

Weil sich der König auch durch weitere Schikanen wie die Lex Furgler belästigt fühlte, boykottierte er fortan samt Hofstaat Genf. In Marbella und Cannes, seinen anderen Sommerresidenzen, fühlte er sich willkommener. Zwar protestierten auch in Frankreich die Nachbarn, als der König ein Naturschutzgebiet überbaute. Es half ihnen nichts. König Fahd war ein zu guter Kunde der französischen Flugzeug- und Waffenindustrie, als dass er mit Kleinkram verärgert werden konnte.

Die Genfer aber bemühten sich um Schadensbegrenzung. Nach Kräften halfen sie mit, als des Königs Höflinge ausschwärmten, um Zusatzhektaren und Anrainerland zu hamstern. Nicht alle Nachbarn verkauften auf Anhieb. Zu plump schien einem Ehepaar die Offerte von 15 Millionen Franken für ihre 4400m2. Diese Standfestigkeit trug ihnen zwar das Lob der Sunday Times ein, nützte trotzdem nichts. Zehn Jahre später schlugen sie ihr Heim entnervt zum halben Preis los. Zu unerträglich waren Baulärm und Gekläff der wilden Hunde geworden, die man zur Förderung der Verkauflust auf dem königlichen Grundstück einquartiert hatte.

Einen andern verkaufsunwilligen Nachbarn machte man mit dem Bau eines Wachturms an der Grundstückgrenze mürbe. Anderen hetzte man hochkarätige Vermittler wie Scheich Yamani oder die Firma Nestlé auf den Hals. Letztere hätte nur allzu gern dem guten Kunden Fahd ein Stück Genfersee-Ufer als Morgengabe vor die Füsse gelegt. Vor allem aber konnte man auf jene Einheimischen zählen, deren Gute Dienste sich die Saudis mit sicherem Gespür zu sichern wussten. Ihr Architekt avancierte zum Genfer Baudirektor, ihr Anwalt zum Justizminister.

Kein Wunder, stiessen die Saudis nur selten an ihre Grenzen. So strich die Gemeinde Collonge-Bellerive dem König die Hälfte der geplanten 160 unterirdischen Parkplätze. Und die Nachbarn wehrten sich vehement gegen die Überwachungskameras, die eines Tages ihre Gartencheminées und Pingpongtische kontrollierten. Alles Nebengeplänkel, verglichen mit dem Bravourstück, das des Königs Anwälten gelang: die Annektierung und Abholzung eines ganzen Wäldchens.

Gehört hatte es einem 92jährigen Sonderling, der samt 30 Katzen in der Wildnis hauste. Nach seinem Tod vermachte er das Land einem Tierschutzverein. Der freilich schreckte nicht nur vor der Erbschaftssteuer zurück, sondern auch vor dem vom Schenker auferlegten Bauverbot. Eine Gelegenheit für den Auftritt der Anwälte. Die stöberten in Amerika entfernte Verwandte des Eremiten auf und überredeten diese zur Konkurserklärung. Das erlaubte den Amerikanern die Versteigerung des Wäldchens und die Dreiteilung des Erlöses: 2 Millionen für die Dienste der amerikanischen Phantomerben, 2 Millionen für das Steueramt und 2 Millionen für die Tierschützer. Ersteigert hatte den Wald die Tochter eines griechischen Milliardärs und Bauunternehmers namens Anne-Marie Latsis. Zufälligerweise war sie nicht nur eine gute Freundin der saudischen Königsfamilie, sondern auch im Besitz eines Schweizer Passes und somit Lex-Furgler-befreit.

Nun ist Wald im Kanton Genf ein kostbares Gut, er geniesst schier ebenso unbegrenzten Schutz wie das Bankgeheimnis. Doch – alles eine Frage der richtigen Wortwahl. Der kantonale Gutachter sprach statt von Wald von «bewaldeter Parzelle» . Auch waren die Bäume nicht ernsthaft gepflanzt, sondern willkürlich gewachsen. Mit andern Worten: ein Schandfleck, jeder ordentlichen Gemeinde unwürdig. Rodungs- und Baubewilligung erfolgten unverzüglich. Und weil einem König nicht zuzumuten ist, eine 30tägige Einsprachefrist abzuwarten, begann man sogleich mit dem Fällen der Bäume.

Als der königliche Sitz auf die erwünschten 40 Hektaren angeschwollen war, hatte das zwar einen Staatsrat seinen Sitz und den WWF und andere Naturschützer den Glauben an die Demokratie gekostet. Was soll’s? Genfer Staatsräson geht vor. Und der sind die zwei Millionen Franken, die der König täglich in Genf ausgibt, wichtiger als ein paar schwarze Milane und das Testament eines Sonderlings. Die Haltung hat Tradition, egal, ob die Linke oder die Rechte an der Macht ist. So durften sich Yoko Ono und Daniel Hechter, der Erfinder des Prêt-à-porter, in Genf stets willkommen fühlen. «Nur von begrenztem wirtschaftlichem Interesse» dagegen befand die Stadt Nastassja Kinskis finanzielle Verhältnisse. Und auch Steuerflüchtling Alain Delon musste sich zu dürftigen Geschäftsgang vorwerfen lassen.

Wie erhofft, fanden die Saudis jetzt wieder zu ihrer Lieblingsbeschäftigung zurück: Night-Shopping. Das Vergnügen freilich wurde durch das Maulen der Gewerkschaften gestört, die gegen die ungewöhnlichen Öffnungszeiten aufbegehrten. Es wird wohl folgenlos verklingen. Denn wie immer, wenn so viel Geld im Spiel ist, verliert der Feldzug für Menschenrechte und Demokratie seine Glaubwürdigkeit. Zu leicht bekommt echte Sorge den Beigeschmack von Neid, zu rasch erscheint berechtigter Widerstand als Trotz.

Inzwischen erfasst der Virus des Geldes selbst scheinbar Immune. Vorläufig jüngstes Opfer ist Gasthofbesitzer Gustave Calendret. Tapfer hatte er bisher den Verlockungen der Petrodollars widerstanden. Zwei Stunden nach unserem Besuch meldete er sich am Telefon. Für zweieinhalb Millionen, sagte er, könne seinen Gasthof haben, wer wolle. Schliesslich gilt es, die Gunst der Stunde zu nutzen. Auch Helden haben eben ihre Grenzen.

Nachtrag

Der saudische König Fahd aus Genf abgereist

Genf, 14.Aug. (sda) Der saudiarabische König Fahd hat Genf am Mittwoch Richtung Marbella in Spanien verlassen. Er hatte sich seit Mitte Mai aus gesundheitlichen Gründen am Genfersee aufgehalten. Der 80-jährige Monarch hatte sich in Genf mit einer Gefolgschaft von mehreren hundert Personen aufgehalten. Der König war in die Schweiz gekommen, um sich einer Augenoperation zu unterziehen.

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Vermischte Meldungen, 15.August 2002, Nr.187, Seite 18

Bereich: LadenschlussSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin