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10.07.2002Neue Zürcher Zeitungbwe.Und finden weder Rast noch Ruh...

Und finden weder Rast noch Ruh...

Das Restless-Legs-Syndrom - eine häufige Ursache von Schlafstörungen

Das Restless-Legs-Syndrom ist eines der häufigsten neurologischen Leiden. Als Ursache wird eine Störung des Dopaminstoffwechsels im Gehirn vermutet, die typischerweise zum Auftreten der Beschwerden gegen Abend und nachts führt. Dadurch leiden viele der Betroffenen unter teilweise schwersten Schlafstörungen.

bwe. Wenig spektakuläre Krankheiten, die weder zur Invalidität führen noch die Lebensspanne drastisch verkürzen, sind für Nichtbetroffene meistens von geringem Interesse. Ein typisches Beispiel für ein solches Leiden, das jene, die erkrankt sind, nicht selten an den Rand der Verzweiflung treibt, ist das sogenannte Restless-Legs-Syndrom (RLS). Es wird charakterisiert durch ein ausgeprägtes Gefühl der Unruhe in den Beinen, das in Ruhe und vor allem abends und in der Nacht auftritt. Oft wissen nicht einmal die Betroffenen, dass ihre Beschwerden Ausdruck einer der häufigsten neurologischen Krankheiten sind und auch behandelt werden können. Die Wissenschaft hat sich des Leidens erst in den letzten 10 bis 15 Jahren wieder mit vermehrter Aufmerksamkeit zugewandt. 1995 wurde eine internationale Studiengruppe gebildet und das klinische Erscheinungsbild offiziell definiert, es wurden Fragebögen zur standardisierten Erfassung der Symptome erarbeitet und therapeutische Richtlinien entworfen. Trotz unbestreitbaren Fortschritten aber ist das Verständnis der pathophysiologischen Grundlagen des RLS bis heute rudimentär. Dass die Krankheit auf einer Störung des Dopaminstoffwechsels im Gehirn beruht, wird auf Grund der Wirkung von Substanzen, welche die Dopaminrezeptoren stimulieren, vermutet.

Tageszeitlicher Rhythmus

Bereits im 17. Jahrhundert beschrieb der englische Neurologe Thomas Willis das RLS weitgehend so, wie es noch heute definiert wird. Leitsymptom des RLS ist der unbezähmbare Bewegungsdrang der Beine in Ruhe, wobei das Gefühl der Rastlosigkeit durch Bewegung wenigstens vorübergehend gebessert wird. Die Symptome treten in einem tageszeitlichen Rhythmus auf: Sie verstärken sich abends und während der Nacht. Viele Patienten - Frauen sind vor allem im fortgeschrittenen Alter doppelt so häufig betroffen wie Männer - klagen über unangenehme, kribbelnde, brennende bis schmerzhafte Empfindungen meist in den Waden, wodurch sie immer wieder zum Aufstehen gezwungen sind, um die Beschwerden mit Bürstenmassagen, Wechselduschen oder Herumgehen in einem erträglichen Mass zu halten. In anderen Fällen steht die motorische Unruhe mit unwillkürlichen Zuckungen der Unterschenkelmuskulatur im Vordergrund. Diese Kontraktionen - sogenannte periodic limb movements - treten bei RLS-Patienten auch im Schlaf auf. Sie werden vom Schlafenden zwar nicht bemerkt. Doch in regelmässigen Abständen von rund 30 Sekunden bewirken sie jedes Mal eine Weckreaktion des Gehirns, so dass der Schlaf wenig erholsam ist und die Betroffenen tagsüber oft wie gerädert sind. Rund 95 Prozent der RLS-Patienten leiden daher unter oft schwerwiegenden Schlafstörungen und sind nicht selten auch in ihrem sozialen Leben beeinträchtigt, da ein Kino- oder Konzertbesuch kaum mehr möglich ist.

Störung im Dopaminstoffwechsel

Die klare, tageszeitliche Abhängigkeit der Symptome, die Tatsache, dass das RLS in rund der Hälfte der Fälle vererbt wird sowie die Beobachtung, dass die Beschwerden rasch auf Substanzen ansprechen, die mit dem Neurotransmitter Dopamin verwandt sind oder die Dopaminrezeptoren stimulieren, legten schon früh die Vermutung nahe, dass es sich um ein organisches Leiden mit offensichtlich gestörtem Dopaminregelkreis im zentralen Nervensystem handelt. Allerdings hat bis heute weder eine einheitliche Störung noch ein klarer degenerativer Prozess als Ursache für die Beschwerden aufgedeckt werden können: Geringgradig abnorme Befunde stehen absolut unauffälligen Untersuchungsresultaten gegenüber.

Untersucht man das Gehirn von RLS-Patienten mittels funktioneller, bildgebender Verfahren wie der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) - Abklärungen, wie sie etwa die RLS-Spezialistin Claudia Trenkwalder von der Georg-August-Universität in Göttingen durchführt -, zeigt sich tendenziell, dass Dopamin etwas vermindert an die entsprechenden Rezeptoren im Bereich der sogenannten Basalganglien bindet. Auch die Dopaminfreisetzung in diesem Gebiet scheint oft leicht eingeschränkt. Die Veränderungen beim RLS sind jedoch nie so ausgeprägt wie beim Parkinson-Syndrom, dem eine Degeneration der Dopamin produzierenden Neuronen im Hirn zugrunde liegt. Entsprechend unterschiedlich sind Symptome und Verlauf der beiden Leiden.

Neben einer Beteiligung des dopaminergen Systems sind schon früh Störungen im Eisenstoffwechsel als Ursache für die typischen Beschwerden vermutet worden, tritt das RLS doch bei Eisenmangelzuständen gehäuft auf. Tatsächlich bessern sich die Symptome oft, wenn der Mangelzustand behoben worden ist. Die meisten RLS-Patienten haben allerdings keinen Eisenmangel - und sogar Personen mit einem Eisenüberladungs-Syndrom (Hämochromatose) können an «restless legs» leiden. Trotzdem lassen jüngste Resultate vermuten, dass tatsächlich eine lokalisierte Störung im Eisenstoffwechsel des Gehirns vorliegen oder der Eisentransport durch die sogenannte Blut-Hirn-Schranke gestört sein könnte. Auch dass zur Synthese von Dopamin Eisen benötigt wird, spricht für diese Theorie.

Alle übrigen Befunde wie die klinische neurologische Untersuchung, Laborwerte, Nervenleitgeschwindigkeit und Muskelerregbarkeit sowie das mikroskopische Erscheinungsbild der peripheren Nervenfasern sind beim «primären» RLS normal. Diese Diagnose wird noch wahrscheinlicher, wenn das Leiden familiär gehäuft auftritt. Von einer «sekundären» Form des RLS hingegen spricht man, wenn die Beschwerden im Rahmen einer Grundkrankheit wie eines Eisenmangels, einer Nierenfunktionsstörung, eines Diabetes mellitus oder einer Polyarthritis auftreten. Auch während der Schwangerschaft leiden viele Frauen unter den typischen Symptomen.

Dass das RLS familiär gehäuft auftritt, ist schon früh erkannt worden - Befunde von Zwillingsstudien machen einen dominanten Erbgang sehr wahrscheinlich. So zeigte sich in einer vor zwei Jahren publizierten Arbeit, dass von 12 untersuchten Zwillingspaaren in 10 Fällen beide Geschwister die typische Symptomatik aufwiesen. Bis heute hat jedoch kein genetischer Defekt lokalisiert werden können.

Personen mit einer familiären Belastung erkranken meistens in jüngerem Alter. Eine allfällige Vererbung hat jedoch keinen Einfluss auf den Krankheitsverlauf, der generell sehr unterschiedlich ist: Nicht selten verschlimmern sich die Symptome mit zunehmender Dauer der Krankheit, die störenden Sensationen breiten sich auf die Arme aus, der zirkadiane Rhythmus beginnt sich zu verwischen, so dass die Beschwerden immer früher auftreten. Zu einer derartigen Verschlimmerung der Symptome, der sogenannten Augmentation, kommt es je nach Untersuchung in bis zur Hälfte der Fälle. Die Augmentation ist zudem eine recht häufig beobachtete Nebenwirkung der heute in erster Linie beim RLS verabreichten Medikamente, welche die Dopaminwirkung im Gehirn verstärken. (Dieselben Mittel werden - in höherer Dosierung - auch beim Morbus Parkinson eingesetzt.)

Parkinson-Medikamente zur Therapie

Zahlreiche Studien haben in den letzten Jahren die Wirkung dieser sogenannten Dopaminagonisten wie Pergolid und von «Levo-Dopa» untersucht - allerdings meistens nur an relativ wenigen Probanden und kaum je länger als während eines Jahres. In der Praxis werden diese Substanzen jedoch seit langem erfolgreich eingesetzt. Die Befürchtung, dass die dauernde Stimulation der Dopaminrezeptoren zu vergleichbaren neurologischen Nebenwirkungen führt, wie sie beim Parkinson-Syndrom gefürchtet sind, sind laut Johannes Mathis, Neurologe am Berner Inselspital und ärztlicher Beirat der Schweizerischen RLS-Selbsthilfegruppe (www.restless-legs.ch), auf Grund der unterschiedlichen zugrunde liegenden Störungen unbegründet.

Werden die Beschwerden mit den Dopaminagonisten nicht ausreichend gemildert oder leidet der Patient unter störenden Nebenwirkungen, kommen auch Opiate zum Zug. Die Morphinabkömmlinge zeigen zuweilen auch in therapieresistenten Fällen gute Erfolge - mit ein Grund, weshalb vermutet wird, dass beim RLS auch ein gestörtes Gleichgewicht des körpereigene Opioidsystems eine Rolle spielen könnte. Abhängigkeiten seien bei korrekter Indikation, so Mathis, trotz langjähriger Anwendung kein Problem. Hingegen kann die Wirkung sowohl der Opiate als auch der Dopaminagonisten mit der Zeit nachlassen, weshalb auf Valium-ähnliche Mittel (Benzodiazepine), Antiepileptika oder die Kombination verschiedener Substanzen zurückgegriffen werden muss. Mit dieser Palette von Medikamenten, so Mathis' Erfahrung, könne einem Grossteil der Patienten auch längerfristig geholfen werden.

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Forschung und Technik, 10.Juli 2002, Nr.157, Seite 61

Bereich: SchlafstörungenSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin