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11.04.2001Neue Zürcher ZeitungJan MühlethalerWeniger schlafen, mehr arbeiten?

Auf ein Wort

Weniger schlafen, mehr arbeiten?

Frau Prof. Tobler, es ist immer die Rede von zu wenig Schlaf. Kann man auch zu viel schlafen?

Ja, das ist möglich. Gewisse Krankheiten äussern sich etwa durch zu viel Schlaf. Im Normalfall schläft der Mensch allerdings nicht zu viel.

Warum brauchen wir überhaupt Schlaf? Die Arbeit wäre doch viel schneller gemacht, wenn Schlafen aufs Minimum beschränkt werden könnte?

Der Schlaf dient ganz einfach der Erholung. Das Problem ist nur, dass die Erholungsfunktion bisher noch nie gemessen werden konnte. So gibt es kein Substrat, etwa Neuronen im Gehirn, das anders ausschauen würde mit oder ohne Schlaf. Wir wissen aus der Forschung noch nicht, was sich durch den Schlaf wirklich verändert.

Unser soziales Umfeld bestimmt, dass im Normalfall am Tag gearbeitet und in der Nacht geschlafen wird. Es gibt aber dennoch Personen, die dies anders handhaben müssen. Ist deren Tagesschlaf qualitativ gleich wie der Nachtschlaf?

Wenn wir unseren Tag-Nacht-Rhythmus komplett umstellen, was möglich ist, ist dies der Fall. Das bedingt allerdings eine Umstellung, die sich über Wochen hinziehen kann. Anders ist es im Fall von Schichtarbeitern, die ihren Arbeitsrhythmus immer wieder ändern müssen. Nur wenn die Bedingungen stimmen, das heisst, wenn es ruhig und dunkel ist, haben auch Schichtarbeiter den Tag hindurch den qualitativ gleich hochwertigen Schlaf wie in der Nacht.

Was können junge, arbeitende Mütter tun, um genügend Schlaf zu haben, wenn sie auch nachts immer wieder aufstehen müssen?

Es gibt keine allgemein gültigen Regeln. Man weiss, dass Schlafentzug damit entgegengewirkt werden kann, dass immer wieder kleinere Siestas eingeschaltet werden, etwa wenn das Kleinkind einschläft oder nachdem es gestillt worden ist.

Schlaf kann also vor- oder nachgeholt werden?

Kurzfristig ist das möglich. Wenn ich im Oktober eine Prüfung habe, hat es Sinn, wenn ich mich einen Monat zuvor nicht mehr allzu stark zusätzlich belaste. Nachholen geht unmittelbar ziemlich gut, doch auch hier weiss man wenig über langfristige Möglichkeiten des Nachholens.

Konzentration und Schlaf hängen eng zusammen. Wann ist man eigentlich am konzentriertesten, unmittelbar nach dem Aufstehen?

Unmittelbar nach dem Aufstehen sicher nicht. Diese sogenannte Schlaftrunkenheit betrifft in der Regel alle, eine halbe Stunde brauchen die meisten, bevor sie auf vollen Touren laufen können.

Müssten die Arbeitgeber nicht daran interessiert sein, ihren Mitarbeitern über Mittag die Möglichkeit zu geben, im internen Schlafsaal ein Nickerchen zu machen?

Es gab derartige Experimente, genaue Angaben hierzu kann ich aber keine machen. Wenn Sie von hoch konzentrierten Arbeiten sprechen, dann wäre es meiner Meinung nach aber das Beste, wenn diese Leute individuell bestimmen könnten, wann sie eine Siesta brauchen. Fünfzehn Minuten Ruhe können bereits ausreichen, um die Leistungsbereitschaft wieder zu erhöhen.

Wie viel Schlaf braucht der Mensch, um einerseits keine gesundheitlichen, anderseits keine leistungsmässigen Einbussen zu erfahren?

Langzeitprognosen sind praktisch nicht möglich. Kurzfristig kann sicher mal etwas Raubbau am Körper betrieben werden. Ansonsten wissen wir aber nicht genau, wie viel Schlaf wir wirklich brauchen. Wir wollen es aber auch nicht wissen, weil etwa die Jugend immer mehr machen will in ihrer Freizeit. Das Problem liegt diesbezüglich darin, dass die Zeit, ins Bett zu gehen, sehr flexibel eingeteilt werden kann, die Zeit fürs Aufstehen ist dagegen für die meisten Arbeitenden vorgegeben. Dies führt zur Verkürzung des Schlafs, zu Leistungseinbussen, aber auch zu Befindlichkeitsproblemen bis hin zur Depression.

Interview: Jan Mühlethaler

Irene Tobler ist Schlafforscherin und Professorin am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich.

Neue Zürcher Zeitung, Ressort Mensch und Arbeit, 11.April 2001, Nr.85, Seite 87

Bereich: Forschung SchlafSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin