Zur Startseite
Zur Archiv-Übersicht
31.03.2006www.nachrichten.chPatrik EtschmayerVon diktatorischen Lerchen und rauchenden Eulen

Von diktatorischen Lerchen und rauchenden Eulen

Patrik Etschmayer / Freitag, 31. März 2006

Wer je in einem grösseren Betrieb gearbeitet hat, kennt das Bild: Bei der ersten Kaffeepause hängen die einen Angestellten wie angeschlagene Boxer rum, schlürfen ihren dritten Kaffee und inhalieren die vierte Zigarette, während andere fröhlich und munter sind und den Kaffee höchstens der Form halber zu sich nehmen.

Die Morgenmuffeligkeit gilt seit langem als eine Charakterschwäche, eine Unart, der man mit Selbst-Motivation und Disziplin beikommen müsse. Zumindest behaupten dies Leute, die selbst nicht an dieser 'Unart' leiden.

Erstaunlicherweise sind die Morgenmuffel später am Tag und bis in die Nacht hinein durchaus leistungsfähig und so manch Angehöriger dieser Gruppe machte sich an Parties schon über jene lustig, die zwar am morgen voll in Fahrt waren, aber schon um zehn Uhr abends zu gähnen beginnen und ab 11 Uhr im Halbkoma in der Ecke stehen.

Doch Partys kann man ohne weiteres ausweichen – Büroblockzeiten hingegen nicht. Aber nun bekommen Morgenmuffel endlich Schützenhilfe und zwar von der Chronobiologie. Chronobiologen sind Wissenschaftler, die sich mit dem Einfluss von Zeitfaktoren – speziell auch Tageszeiten – auf Lebewesen beschäftigen. Beispielsweise wirken Medikamente zu unterschiedlichen Zeiten verschieden stark und Nahrung wird zu verschiedenen Zeiten anders aufgenommen. Doch nun stellten sie auch noch fest, dass für manche Menschen das Aufstehen am frühen Morgen unnatürlich, ja sogar schädlich ist.

Morgenmuffel – sie werden von den Chronobiologen 'Eulen' genannt – würden nach ihrem normalen Schlafrhythmus – die acht Stunden von zwei bis zehn schlafen, mithin zu einer Zeit, wo sie längst an ihrem Arbeitsplatz sein müssten und ihre munteren Kollegen – Elstern genannt – fit und happy sind. Das Resultat ist ein Zustand, der einem permanenten Jetlag entspricht. Um ihrer permanenten Erschöpfung nicht völlig zu erliegen, greifen die 'Eulen' vielfach zu Stimulantien. Kaffee zum einen, doch leider auch häufig zu Zigaretten. Und dies meistens schon im Jugendalter.

Die ständige Übermüdung ist an sich bereits ein Gesundheitsrisiko und kann zu Herz-Kreislauf-Störungen und vegetativen Problemen führen. Zusammen mit dem Zigarettenkonsum erhöhen sich die Gefahren nochmals erheblich. Zu allem Überfluss wird diesen Leuten von der Gesellschaft auch noch ein ständiges Schuldgefühl eingeimpft, für etwas, das sie nicht ändern könnten, selbst wenn sie wollten.

Unseren Volkswirtschaften gehen vermutlich Milliarden an Produktivität verloren, während auf der anderen Seite eben solche Gesundheitskosten entstehen. Und alles, weil im 19. Jahrhundert definiert wurde, dass Arbeitszeiten starr einem Muster zu folgen hätten.

Dieses neue und nun auch etablierte Wissen über die verschiedenen Schlaftypen könnte helfen, eine gesündere, produktivere und vor allem glücklichere Gesellschaft zu schaffen. Denn das Problem beginnt schon im Kindergarten und in der Schule. Übermüdete 'Eulen'-Kinder werden schlechter lernen, mehr krank sein und für das Leben schlechtere Karten haben. Wenn die Schul- und Arbeitswelt entsprechend in zwei Schichten organisiert würde, gäbe es wesentlich weniger solcher Probleme. 'Lerchen' und vor allem 'Eulen' könnten so ihren körperlichen Bedürfnissen entsprechend lernen, arbeiten und länger gesund bleiben.

Praktisch wäre dies schon längst möglich, nur muss es sich in den Köpfen durchsetzen, dass es allen nützt, wenn die Zeit-Diktatur der Lerchen endlich beendet würde. Oder finden Sie etwa, dass eine übermüdete, rauchende Eule ein erhebender Anblick ist? Eben.

Bereich: AlltagSponsor: Nachtaktivbearbeitet von: merlin